- Physiknobelpreis 1960: Donald Arthur Glaser
- Physiknobelpreis 1960: Donald Arthur GlaserDer amerikanische Physiker erhielt den Nobelpreis für die »Erfindung der Blasenkammer«.Donald Arthur Glaser, * Cleveland 21. 9. 1926; ab 1957 Professor für Physik an der University of Michigan, ab 1959 an der University of California; forschte über die schwache Wechselwirkung und die kosmische Strahlung, zuletzt über mikrobiologische Fragestellungen.Würdigung der preisgekrönten LeistungDie von Glaser 1952 entwickelte Blasenkammer lässt sich als Weiterentwicklung der von Charles Wilson (Nobelpreis 1927) gebauten Nebelkammer betrachten. Die Spur eines Teilchens bildet eine sichtbare Spur aus Blasen, die beständiger ist als die Kondensstreifen in der Nebelkammer. Für diese Nachweismethode schneller Teilchen wurde ihm der Nobelpreis verliehen.Ein Glas Bier lieferte die Idee zur BlasenkammerAn einem Tag des Jahres 1952 saß Donald Glaser am physikalischen Stammtisch der University of Michigan. Einer seiner Kollegen beobachtete die Gasbläschen, die in seinem Bierglas aufstiegen und eine schöne Spur zogen. Glaser ließ sich davon zur Entwicklung der Blasenkammer inspirieren. Er stellte zunächst fest, dass sich beim Öffnen einer Flasche mit kohlensäurehaltigem Mineralwasser die Bläschen an einem bestimmten Punkt bilden. Im Labor baute er allerdings keine Sprudelflasche nach, sondern eine Druckkammer, in der er eine Flüssigkeit über die Siedetemperatur erhitzte. Durch den Überdruck konnte sie nicht zum Kochen kommen. Die überhitzte Flüssigkeit gewann die Eigenschaft, bei der geringsten Erschütterung innerlich sofort zu kochen und an einem bestimmten Punkt Blasen zu bilden, genau so, wie man es beim Öffnen der Flasche beobachten kann.Glasers Vorstellung war es nun, dass atomare und subatomare Partikel, die die überhitzte Flüssigkeit durchlaufen, ein inneres Kochen verursachen. Indem sie entlang ihres Weges Ionen produzieren, sollten genau an diesen Stellen Bläschen entstehen. Eine fotografische Aufnahme könnte, wie in der Nebelkammer, die kurze Bläschenspur festhalten. Im Labor suchte er nach einer Methode, die Blasenspur geladener Teilchen sichtbar zu machen und zu dokumentieren. Gleichzeitig sollte die Spur schnell wieder verschwinden, um die Übersichtlichkeit des abgebildeten Prozesses zu gewährleisten. Glaser war überzeugt, dass sich Blasen in einer überhitzten Flüssigkeit genauso bilden wie die Kondensationsbläschen in der Nebelkammer. Bereits im April 1953 zeigte er auf einer Tagung der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft Bilder von Blasenspuren, die Myonen aus der kosmischen Strahlung gezogen hatten.Alvarez half bei der UmsetzungDer amerikanische Physiker Luis Walter Alvarez (Nobelpreis 1968) war begeisterter Zuhörer von Glasers Vortrag und setzte sofort seinen Einfluss und viele Forschungsgelder ein, um diese geniale Idee zu vervollkommnen. Er arbeitete gerade gemeinsam mit Ernest Orlando Lawrence (Nobelpreis 1939) am Bau des Bevatrons, eines großen Beschleunigers von Protonen in Berkeley. Er war sich bewusst, dass weder die Nebelkammer, noch die anderen etablierten Nachweismethoden, wie die fotografische Kernspurplatte oder die elektrische Detektion, alle Geheimnisse freilegten, die sub atomare Teilchen in sich trugen. Das Bevatron wurde vor allem gebaut, um das Kaon und andere Mesonen zu untersuchen. Das Prinzip von Glaser schien Alvarez sehr gut geeignet, diese Forschungen zu unterstützen.Glasers erste Blasenkammer hatte nur wenige Zentimeter Durchmesser und war mit gewöhnlichem Diethylether gefüllt. Auf die Weiterentwicklung hatte vor allem Alvarez maßgeblichen Einfluss. Wasserstoff muss zum Sieden nicht erhitzt werden. Denn der Siedepunkt liegt bei 20 Kelvin oder -253 Grad Celsius. Moderne Blasenkammern besitzen deshalb große und aufwendige Kühlaggregate. Sie sind außerdem von starken Elektromagneten umgeben, die den Pfad der geladenen Partikel beugen. Die schwachen Blasenspuren sind deshalb leicht gekrümmt. Mit dieser Anordnung lassen sich auch unbekannte Teilchen identifizieren, die mit einer Geschwindigkeit nahe der Lichtgeschwindigkeit die Kammer durchlaufen, da sie in einer Flüssigkeit sehr schnell abgebremst werden. Anfang der 1960er-Jahre wurden die Blasenkammern zusätzlich mit Rechnern ausgestattet, die die Spuren sofort auswerten konnten. Damals sprach man von der »Frankenstein«-Einheit, da man von deren immer größeren elektronischen Leistungsfähigkeit noch sehr beeindruckt war.In den 1930-Jahren, der »goldenen Ära« der Nuklearphysik, konnten die Teilchen auf einige Millionen Volt beschleunigt werden. Zwei Jahrzehnte später lieferten die Beschleuniger Energien von mehreren Milliarden Volt Spannung. Um so stark beschleunigte Teilchen zu beobachten, hätte eine Wilson'sche Nebelkammer mehr als 100 Meter Durchmesser haben müssen. Die Blasenkammer wurde für viele Jahre zum Partner der Hochenergie-Nuklearphysik, genauso wie es die Nebelkammer für die Niederenergie-Nuklearphysik gewesen war.1952 war der Prototyp von Glasers strahlensensitiver Blasenkammer fertig. Gleichwohl dauerte es noch Jahre bis zur technischen Perfektion des Prinzips. Zahlreiche andere Forscher lieferten ihre Beiträge zur Konstruktion verschiedener Typen von Blasenkammern. Doch Glaser gebührt das Verdienst, sie erfunden, theoretisch durchdacht und praktisch ausgeführt zu haben.Schwierige InterpretationBlasenkammerbilder zu interpretieren erforderte jedoch sehr viel Erfahrung. Der ungarische Physiker Károly Simonyi hat die komplizierte Deutung der Bilder folgendermaßen beschrieben: »Man kann die Methoden, die in der Elementarteilchenphysik zur Identifizierung der Elementarteilchen sowie ihrer Umwandlungs- und Wechselwirkungsprozesse verwendet werden, mit dem Spurenlesen eines Jägers vergleichen, denn auch er muss aus den störenden Untergrundspuren die ihn interessierenden Spuren herauslesen. Anhand der Spuren identifiziert er die wechselwirkenden Teilchen (Fuchs und Gans), stellt die Wechselwirkungsgesetze zwischen beiden fest (die Zahl der Gänse nimmt ab; G = -1; die Zahl der Füchse bleibt konstant; F = 0). Aus der Verstärkung der F-Spur nach der Wechselwirkung schließt er auf die Masse von G (mF = mG). Der Fuchs gelangt infolge der Wechselwirkung in einen angeregten Zustand (seine Masse hat zugenommen), und er kehrt mit einer bestimmten Zeitkonstanten wieder in seinen Grundzustand zurück. Aus einem Abreißen der Spur schließt der Jäger auf einen neuen Wechselwirkungsprozess; das neue Teilchen, das keine Spuren hinterlässt, nennt er Adler.« Kompliziert werden diese Wechselwirkungsprozesse noch durch weitere Faktoren, beispielsweise, um im Bild Simonyis zu bleiben, den Menschen, der den Adler abschießt oder besondere Vorkommnisse, wie die Befreiung einer bereits gefassten und hinweggeschleppten Gans.U. Schulte
Universal-Lexikon. 2012.